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3.10.08

Mein Tirolerland

Das Eldorado wächst...

Eine Geschichte über die wirren Gedanken im Laufe einer Erstbegehung:
Zusammen mit Spinne und Mira bin ich wieder einmal im Eldorado. Es ist kalt, saukalt für den 17. September. Mein Ziel ist klar. Das Projekt ganz rechts, direkt an der Kante, nur wenige Meter vom tosenden Wasserfall entfernt. Eingebohrt vor ein paar Wochen, sträubt es sich jetzt mit aller Kraft gegen meinen Drang den Status als Projekt auf eine eigenständig exisitierende Route zu bringen. Bereits einige Tage verbrachte ich mit dem Ausbouldern der technisch komplizierten und anstrengenden Passagen, konstant mit wenig Erfolg. Auch heute enden meine Zuckungen immer wieder mit einem Sturz ins Seil. In der Ausstiegsplatte musste ich sogar noch einen Bolt dazusetzen, um überhaupt einmal die Standkette berühren zu dürfen. Meine Hoffnung das Teil klettern zu können ist sehr gering bis erloschen. In der ersten Bouldersession konnte ich heute in der Schlüsselpassage nicht einmal die Einzelzüge klettern. Jetzt fühlt es sich schon besser an, ich erreiche nach einem kurzen Blick zu Spinne, der sich gerade in einen Eiszapfen zu verwandeln begann, den Stand. Bis auf den Einstiegsboulder kann ich wenigestens die Einzelzüge klettern. Die Hoffnung lebt wieder, ein Durchstieg ist allerdings noch weit, weit entfernt.

Ein Tag später, selber Ort, selbe Darsteller, selbes Problem.. nur die Temperaturen scheinen ertragbarer geworden zu sein. Beim Aufwärmen spüren wir die perfekten Bedingungen. Ich nehme mir vor, den Einstiegsboulder auszuchecken, der blieb mir bislang ein Rätsel. Nach einigen Versuchen funktionieren die Züge und nach einer weiteren intensiven Bouldersession im Rest der Route habe ich ein neues Ziel. Einstiegsboulder und bis zum Beginn der Schlüsselstelle - mit neuer Motivation sollte dies doch möglich sein. Spinne boulderte zum Glück eine halbe Ewigkeit in "Catch 39", ich konnte mich gut erholen und stieg mit meinem neuen Ziel im Kopf in die Route ein. Die Griffe fühlten sich größer an als sonst. Der Einstiegsboulder war erledigt. Jetzt noch bis zum Beginn der Schlüsselstelle, dann wäre mein Ziel erreicht. Ich schüttle lange am Rastpunkt nach dem Einstieg, bevor ich voll motiviert weiterklettere. Präzise und schnell gelingen die Züge zur Schlüsselstelle. Jetzt noch den extrem wackeligen Zug zur Leiste beim 5. Bolt, dann ist mein Ziel erreicht. Nach einigem Zögern entschließt sich meine linke Hand dann doch loszulassen und die stabile Position aufzugeben. Ein Schnapper auf die Leiste, gleichzeitig zieht die Schwerkraft enorm nach rechts unten. Überraschender Weise halten Finger die Leiste fest. Ich klippe den Bolt und will mich schon mit meinem ereichten Ziel ins Seil sitzen. Halt! Ich höre irgendwo her eine Stimme. Nicht! Kletter weiter! Ach so, ja, stimmt, eigentlich sollte ich noch probieren wie weit ich käme. In der Schlüsselpassage würde ohnehin Endstation sein. Doch ganz entgegen meinen Erwartungen klettere ich die Passage ohne Sturz. Zwar am äußersten Limit, aber der Style wird ja beim Klettern zum Glück nicht bewertet. Die Griffe müssen über Nacht größer geworden sein. Ich bin tatsächlich am Rastpunkt vor der Ausstiegsplatte. Ich versuche etwas Blut in die Unterarme zu bringen und denke das erste Mal kurz über einen Durchstieg nach. Die Ausstiegsplatte, etwa im Bereich 7c, würde sicherlich den Blitzangriff noch stoppen. Jetzt bin ich aber voll entschlossen für die Schlussoffensive. Mit zittrigen Beinen und körperlich komplett am Limit schruppe ich durch die geneigte Platte, in der Griffe und vor allem Tritte eine Seltenheit sind. Mit einem Freudenschrei klippe ich den Stand...

Jetzt kann ich es immer noch nicht glauben, eine so extreme Steigerung von einem Tag zum anderen zu machen. Es hat halt alles gepasst: Perfekte Bedingungen, alle Sequenzen bis ins Detail studiert, völlig frei im Kopf und dann noch die Portion Glück, die es braucht..
"Mein Tirolerland" ist sicherlich meine schwierigste Erstbegehung beim Sportklettern. Dieser schnelle und unerwartete Durchstieg nach den unendlichen Bouldersessions macht es mir nicht leichter, die Route zu bewerten. 7a wirds scho sei, würde Georg sagen.. keine Ahnung, irgendwo im 8b Bereich, denke ich. Das Bild ist übrigens vom "Doppelleben" von Hermann Erber. Wegen der derzeitigen Schneelage ist die Aktivität im Eldorado allerdings kurzfristig unterbrochen!

© 2020 Mag. Albert Leichtfried - Meteorologe - Bergführer - Extremkletterer
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Fritschi Diamir