Senda real
In der Boeing 767 des Fluges DL-147 am 11. März 2006 von Atlanta nach Santiago de Chile sitzen nicht nur Geschäftsleute und badehungrige Touristen. Nein, es sind auch Hari Berger, Albert Leichtfried und Hermann Erber dabei, welche sich ein ganz anderes Ziel ausgesucht haben. Eisklettern - noch dazu im Sommer, dafür aber zwischen 4000m und 6000m Seehöhe – unser Plan war es die Eisklettersaison noch um ein paar Abenteuer zu verlängern.
Hitze in Santiago de Chile
Direkt aus dem kalten europäischen Winter kommend genossen wir erst einmal die Hitze in Santiago bei unserer Ankunft. Das Thermometer zeigte um die +30°C an, als wir die Verpflegung für unsere Kleinexpedition in den riesigen Supermärkten zusammenstellten. Insgesamt 200kg wog das Gepäck als wir Santiago nach unseren Großeinkäufen zufrieden verließen. Eduardo Mondragon alias „Edel“ bekannt als der chilenische Eiskletterer - unser Freund und Helfer in Chile – brachte uns mit seinem Jeep nach Banõs Morales. Im Refugio Aleman (1930m) ließen wir es uns vor unserem Abmarsch noch einmal so richtig gut gehen. Steaks und Rotwein standen auf der Speisekarte, nachdem wir von unserem Pferdeausflug zu den Colina-Thermen erschöpft zurückkamen.
Harter Lastentransport ins BasislagerAm 14. März war es dann soweit. Der Hüttenwirt Andy aus England brachte uns zum vereinbarten Treffpunkt mit den drei Mulis und zwei Reitern. Doch wie man es sich in Südamerika erwarten kann sind wir die Einzigen, die pünktlich am Treffpunkt erscheinen. Eine Stunde später konnte es dann doch losgehen – unser Material wurde verlässlich von den Mulis taleinwärts transportiert. Doch so verlässlich die Mulis, so unverlässlich die Abmachungen zwischen den Cowboys und den Gringos – der fix vereinbarte Abladepunkt wurde von den Chilenen nicht eingehalten – 7km zu früh! Das Ergebnis: Wir durften zunächst zwei harte Tage mit Lastentransporten verbringen, um das Basislager auf 3500m zu errichten und es verging ein weiterer Tag zur Erholung von der Quälerei. Als Belohnung dafür fanden wir den perfekten Platz für das Basislager: 200 m² Wiese inmitten der Steinwüste begrenzt vom Gletscherbach und einer Therme mit etwa 20°C warmen Wasser.
Kaffee ohne Filter & Apfelstrudel
Nach einem Erkundungstag, der uns nach Besichtigung einiger möglichen Linien zuversichtlich stimmte, errichten wir auf 4100m ein Lager von dem wir unsere Kletteraktivitäten starteten. Doch bevor es losging, rasteten wir erst einmal zwei Tage im Basislager und ließen unsere zwei Kocher den ganzen Tag durchgehend laufen. Diese hatten mit dem chilenischen Benzin, der bei Kälte ums Verrecken nicht brennen wollte, sowieso eine schwere Zeit mit uns. Der Kreativität waren keine Grenzen gesetzt: Kaffee ohne Filter, selbstgebackenes Brot mit Nüssen oder Knoblauch, eine Spezialpasta vom Meisterkoch Hari mit Zwiebeln, Knoblauch, Thunfisch, Karotten, Käse und Ingwer und als Krönung einen selbst gemachten Apfelstrudel!
Erstbegehung von "Senda real" WI7+
Gut gestärkt machen wir uns am 19. März ans klettern. Uns ist das markante Eisdach in der Südwand des Marmolejo schon am Erkundungstag aufgefallen. Hari und ich waren uns einig, diese Linie würde ein großes Abenteuer bedeuten. Diese Linie mussten wir probieren. Und wir bekamen unser Abenteuer. Das Eis war eine Mischung aus uraltem, extrem überhängendem Gletschereis mit senkrechten Säulen und Pfeilern. Uns gelang die schwerste Tour die wir je im Eis geklettert sind: „Senda real“ WI 7+, vielleicht die härteste Tour auf dieser Seehöhe, sicherlich die schwierigste Eiskletterei Südamerikas. Die Route ist auf ihren sechs Seillängen anhaltend schwierig: WI 5, WI 6-, WI 7-, WI 7+, WI 5 und WI 6-. Die Schlüsselstelle befindet sich in der vierten Seillänge, ein Eisdach etwas 6 Meter überhängend. Wir kämpften wie wild in diesem Dach auf über 4500m Seehöhe um mit ein paar „figur of fours“ in normalen Lederbergschuhen den Stand zu erreichen. Völlig fertig erreichen in der Dunkelheit unser Zelt, wo Hermann schon mit dem leckeren Abendessen - Expeditionsnahrung – auf uns wartet.
Tripple direct - auf dem Weg zum Gipfel
Nach weiteren zwei Rasttagen waren wir wieder in unserem Lager unter der Wand. Dieses Mal wollten wir bis zum Gipfel und dabei wiederum auf einer neuen Linie. Mit zwei Haulbags (einer davon sitzt den ganzen Tag auf meinem Rücken) kletterten Hari, Hermann und ich gemeinsam „Tripple direct“ WI 5- und schlugen auf 5000m unser Zelt für den Gipfeltag auf. Nach nervenaufreibenden Kämpfen mit dem bis zu 2 Meter hohen Büsserschnee standen wir am 24. März glücklich am Gipfel des 6085m hohen Cerro Marmolejo. Nach dem viertägigen Abstieg in der Geröllwüste hatten wir dann doch genug Abenteuer gesammelt und freuten uns wieder auf warme Temperaturen um endgültig die Eisklettersaison zu beenden.