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Canmore

Die Einwohner der verträumten Stadt Canmore, inmitten der beeindruckenden kanadischen Rocky Mountains gelegen, schlafen noch tief und fest während wir unseren Pontiac-Mietwagen zum vereinbarten Treffpunkt schnurren lassen. Es ist wieder soweit: Die Eiskletterszene trifft sich wie jeden Tag im Summit Cafe, um bei Kaffee und Kuchen ein für den hereinbrechenden Tag angemessenes Ziel auszuwählen. Dass sich zwei motivierte Europäer darunter gemischt haben, stört hier keinen. Im Gegenteil, wir werden aufgenommen, als ob wir schon jahrelang hier wären.

Eisklettern in Kanada - ein Traum

In Wirklichkeit sind Hari Berger und ich erst ein paar Tagen in Kanada. Wir nehmen gleich am Ankunftstag am legendären Mixedwettkampf im Zuge des Canmore-Eiskletterfestivals in Wangs Kletterhalle teil und kämpfen uns trotz extremer Müdigkeit bis ins Finale durch. Die Stimmung ist gewaltig und wir bemerken schon jetzt, welchen Stellenwert das Eisklettern in Kanada hat. Nicht wirklich mehr ausgeschlafen starten wir am nächsten Morgen zur berühmten „Trophy Wall“. Nach einer winterlichen Fahrradfahrt und etwa zwei Stunden steilem Zustieg stehen wir endlich am Einstieg. In Guy Lacelle’s Liste der besten hundert Eisklettereien der Welt steht der „Terminator“ WI 6+ an erster Stelle. Da der Terminator aber nur etwa alle zehn Jahre vollständig zusammenwächst, müssen wir uns auf ein Duell mit „T2“ M7+/WI 6+, so heißt die selbe Linie wenn das Eis wieder einmal nicht weit genug gewachsen ist, einlassen. Die beeindruckende Ausgesetztheit von 1000 Meter über Banff lässt den Adrenalinspiegel an der Schlüsselstelle noch etwas weiter nach oben schnellen. Da wir uns fest vorgenommen haben, so viele Routen wie möglich zu klettern, dürfen wir nach „T2“ noch nicht klein beigeben. Wir versuchen uns noch an der bis zu diesem Zeitpunkt  vier Jahre nicht wiederholten „Haunted by waters“ M8+/WI 5+. Durch das Platzieren von einigen Keilen und Schrauben zu den vorhandenen 4 Bolts auf 60 Meter wird unser Mut gestärkt. Uns gelingt die erste Wiederholung dieser moralischen, aber doch erstklassigen Mixedroute.

Summit cafe schafft Motivation

Nach dem endlosen Abstieg nach Banff haben wir erst einmal genug vom Eis. Um das Schlafdefizit noch  etwas zu verschlimmern, sind wir bei unserem Gastgeber Will Gadd zu seiner Geburtstagsfeier eingeladen, der  intensiv dafür sorgt, dass wir am nächsten Tag erst einmal unsere Pläne bei Seite legen müssen. Die Abschlussparty des Canmore-Eisfestivals lässt auch den darauffolgenden Tag zu einem gemütlichen Rasttag werden. Letztendlich haben wir unseren Jetlag aufgrund der nächtlichen Aktivitäten doch noch überwunden. Wir sitzen mit frischer Energie und einem dreiviertel Liter Cafe Latte (medium size) im Summit Cafe, um mit dem harten Kern der Szene den Tag zu beginnen. Voll motiviert geht’s mit unserem Pontiac Richtung Nordwesten hinein in die Rockies. Die umwerfende Landschaft lässt sich in der Dunkelheit nur ansatzweise erkennen. Nach zwei Stunden Fahrt entlang des Icefields Parkways Richtung Jasper erreichen wir unser nächstes Ziel - „Call of the Curtain“ M7+/WI 6. Ein imposantes Gebilde aus vier Seillängen Eis- und Mixedkletterei vom Feinsten, das wir aber erst durch einen anstrengenden Zustieg mit Schneeschuhen erreichen. Wir knobeln wie immer, wer die erste Seillänge vorsteigen darf. Hari gewinnt und darf somit die dritte Seillänge mit der Schlüsselstelle klettern,  welche über ein stark ausladendes Dach auf einen frei hängenden Zapfen führt. Ich darf dafür die zweite Seillänge, eine anspruchsvolle Eislänge im sechsten Grad klettern. Jeder kommt auf seine Kosten und umso glücklicher erreichen wir mittags wieder unser Auto. Hari ist mit dem Fahren dran und ich blättere im Führer nach einer möglichen Nachmittagsroute. Uns sticht der „Polar Circus“ ins Auge, ein alter Extremklassiker mit Schwierigkeiten bis zum fünften Grad. Den muss man unbedingt gemacht haben. Im Führer steht über die 500m lange Kletterstrecke: „it’s usually done in 8 hours“. Ich blicke auf die Uhr – es ist zwei Uhr nachmittags – der Zustieg ist sehr kurz, das muss sich bis zum Sonnenuntergang um 18 Uhr schon noch ausgehen. Hurtig klettern wir den ersten Teil seilfrei. Der Wasserfall ist stark der Sonne ausgesetzt und das Eis ist nicht mehr allzu gut. In der letzten Seillänge bin ich froh, dass mich Hari mahnt, nun doch das Seil zu verwenden und einige Schrauben zu setzten. Das Eis wird immer schlechter und wir freuen uns, heil oben angekommen zu sein. Unsere Hoffnung hat sich erfüllt, nach der Abseilschlacht erreichen wir kurz vor sechs Uhr bei letztem Tageslicht unser Auto. Erleichtert kommen wir im Rempart Creek Hostel an und Hari lässt seinen beneidenswerten Kochkünsten freien Lauf. Nach dem Abendessen fallen wir sofort ins Bett.

Stanley Headwall - die Wand der Wände

Unser Ziel für den nächsten Tag ist bereits fixiert. Wir wollen der rund 200m hohen „Stanley Headwall“, an der ein „Testpiece“ nach dem anderen wartet, einen Besuch abstatten. Die Routen sind sowohl technisch als auch moralisch anspruchsvoll und fordern allerhöchsten Einsatz. Wir sind uns sofort einig welche Route wir als erstes probieren wollen. „Nightmare on Wolfstreet“ M7+/WI 6+ klingt nicht nur gruselig, sondern schaut auch durch die perfekte, wie mit einem Lineal gezogene Linie extrem gruselig aus. Das müssen wir uns natürlich genauer anschauen. Diesmal gewinne ich die Knoblerei und darf mit der ersten Seillänge beginnen. Diese Länge – unserer Meinung nach mit M7+ extrem unterbewertet - fordert mir an meinen Kletterkünsten alles ab und ich erreiche mit Mühe den Stand. Die zweite Länge ist mit WI 5+ eher ein Genuss und ich bin froh, dass Hari auch die dritte Länge übernimmt. Ein Dach, wiederum mit M7+ bewertet, wartet auf uns. Als Vorgeschmack fehlt der erste Bolt und Hari ist in dieser Länge gleichermaßen gefordert wie ich in der ersten. Das Dach hat wiederum mit M7+ überhaupt nichts zu tun und wir kämpfen uns beide mühevoll bis zum Stand inmitten einer Eislandschaft, wie wir sie noch nie zuvor gesehen hatten. Es sind lauter Blumenkohlblätter aus Eis, etwa 2 bis 3 Meter groß, an die Wand geklebt. Am Weg durch diese Blumenkohllandschaft, einer reinen Eislänge WI 6+, wird mir klar, woher die Route ihren Namen hat. Es ist die für mich bislang schwierigste Eislänge, die ich jemals geklettert bin. Wieder zurück am Einstieg angelangt, sind wir uns einig, dies ist sicherlich eine der beeindruckensten Eislinien der Welt. Wir wollten im Anschluss noch „Suffer Machine“ M7/WI 5 klettern, welche im Führer mit „many bolts“ in der zweiten Länge beschrieben ist. Es sind zwar unzählig viele Bolts vorhanden, jedoch mit den Laschen schaut es etwas schlechter aus. Die sind nämlich nur bei etwa jedem dritten Bolt zu sehen. Da wir keine Laschen mithaben, versuchen wir beide unseren Kopf völlig auszuschalten und auf weitere Absicherung zu verzichten. Etwas Vernunft bleibt aber noch zurück und wir seilen ab.

Ghost - Abenteuer in der Wildnis

Wieder in Canmore angekommen, treffen wir Roger Strong, der uns von der geheimnisvollen „Ghost River Wilderness“ vorschwärmt. Da er auch die Grundvoraussetzung für einen Trip in die Ghost besitzt - nämlich einen starken Allradjeep - sind wir sofort begeistert, am nächsten Tag dorthin zu fahren. Es wird ein richtiges Abenteuer in der Wildnis, fernab jeglicher Zivilisation klettern wir „Hydrophobia“ WI 5+ und „The Sorcerer“ WI 5.

Hermann kommt zum Fotoshooting

Nach zwei wohlverdienten Rasttagen holen wir Hermann Erber vom Flughafen in Calgary ab um mit ihm noch einmal die schönsten Routen zu klettern und unsere Impressionen auf Bildern festzuhalten. Hermann, unser Freund und ein genialer Fotograf, der auch beim Klettern eine gute Figur macht ist immer für solche mühsamen Fotoeinsätze motiviert. Der Ablauf ist nicht ganz unkompliziert und äußerst anstrengend: Zuerst die Route vorsteigen, um das Fixseil für Hermann aufzubauen, dann abseilen, während Hermann bereits am Fixseil aufsteigt. Jetzt heißt es für beide Kletterer, die Route noch einmal vorzusteigen und jeweils das Material zu tauschen, um die Sponsoren zufrieden zu stellen. Weiters muss die Schlüsselstelle je nach Hermanns fotografischer Laune bis zu zehn Mal geklettert werden.  In diesem Stil klettern wir mit ihm in den darauffolgenden Tagen die Routen „T2“, „Call of the Courtain“, „Nightmare on Wolfstreet“ bzw. im „Bear spirit“, einem kleinen Mixedklettergarten, und im „Haffner Creek“. Voller Stolz präsentieren wir am Abschlussabend der Szene in Canmore unsere Fotoausbeute. Die Leute sind begeistert und wir bringen unzählige tolle Erinnerungen mit nach Europa, welche uns noch lange erhalten bleiben werden.

 

 

© 2020 Mag. Albert Leichtfried - Meteorologe - Bergführer - Extremkletterer
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