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Geniales Eis in Tibet

In der alten, schwarzen Rauchküche konnten wir unser Gegenüber fast nicht mehr erkennen. Für das Interview mit dem Dorfältesten wurde kräftig eingeheizt. Dem über Siebzigjährigen sah man seine Lebenserfahrung in jedem auch noch so kleinen Detail seines Gesichtes an. Er erzählte uns über die Geschichte des Tales. Am Anfang waren da nur zwei Brücken. Jetzt gibt es eine Straße durch das 38 Kilometer lange Tal und die Touristen kamen zum Besichtigen der faszinierenden Natur und der Berge, welche rechts und links des Tales bis über 6000 Meter hinauf ragen. Im Tal, das auf etwa 3500 Meter liegt, leben Tibeter in einfachster Form mit ihren stets frei laufenden Schafen, Rinder, Yaks, Schweinen und sonstigen Haustieren. Eine unglaublich freundliche Atmosphäre lag über dem ganzen Tal, wo sich Lärchenwälder bis auf 4000 Meter erstrecken. Der Dorfälteste sprach von einem herzlichen Willkommen und freute sich, dass wir so weit gereist waren um in seinem Land zu klettern. Eisklettern finde er cool und wünschte uns das Beste für unsere Vorhaben – wir seien doch alle wie eine große Familie. Mir standen die Tränen in den Augen bei so einer offenen und unglaublich freundlichen Lebensphilosophie.

Nach der Ankunft in der Millionenstadt Chengdu und einer Außentemperatur von +19°C konnte ich nicht mehr ganz glauben, dass wir irgendwo noch einen Brocken Eis finden würden. Doch mit jedem Kilometer in Richtung des Hochlandes nordwestlich von Chengdu wurden die Temperaturen kühler und die Luft dünner. Im Shuangqiao Tal angekommen konnten wir sogar schon die ersten Eislinien erkennen. Doch zuallererst mussten wir hart mit der Höhe, dem Jetlag und dem ungewohnten Essen kämpfen – die Leistung des Körpers war auf ein Minimum reduziert. Bei der Inspektion des Tales, welche bequem per Taxibus ablief, trauten wir kaum unseren Augen. Eine Eislinie reihte sich an die andere. Die Einheimischen sprechen von über 100 Eisfällen. Und das alles bei kaum Schnee und Zustiegen zwischen 10 und 60 Minuten vom Bus – wir waren im Eiskletterparadies angekommen!

Durch die Höhe mussten wir langsam starten. Wir wussten, bereits ein paar Treppenstufen brachten uns furchtbar zum Schnaufen. Tag für Tag fielen uns die Zustiege leichter und wir konnten unsere Auswahl der Ziele steigern. Wir kletterten einige schöne Eislinien – die Auswahl kann einen rasch überfordern. Beim trockenen See hinterlassen wir unsere Spuren und eröffnen einen neuen Sektor – den „Austrian corner“. Uns gelangen mit „Mira kim“ WI6 und „Mei mei“ (kleines Mädchen) M10+ zwei absolute Highlights. „Mei mei“ dürfte die schwierigste Mixedroute auf einer Höhe von 3850 Meter sein – die drei Seillängen dieser formschönen Linie forderten mir für den Rotpunktdurchstieg alles meiner Kletterkünste ab.

Nun blicke ich zurück auf eine inspirierende Zeit in Tibet, vielen schönen Momenten im Eis aber noch viel schöneren Momenten mit Menschen die uns in ihre Familie aufgenommen hatten.

Das Topo zum Austrian corner: TOPO AUSTRIAN CORNER

© 2020 Mag. Albert Leichtfried - Meteorologe - Bergführer - Extremkletterer
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Fritschi Diamir